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Das Vereinshaus der evangelischen Kirchengemeinde, Barmer Straße „Eigentümliche Rechtslage“

Das Vereinshaus der evangelischen Kirchengemeinde, Barmer Straße „Eigentümliche Rechtslage“

Datum Chronikeintrag: 2. Januar 1889

Unweit der Kirche prägte seit 1889 das Vereinshaus das Gemeindeleben der evangelischen Kirchengemeinde Herzkamp. Kindergottesdienste, Jugendarbeit, Kirchenchor, Frauenhilfe – all diese Einrichtungen begleiteten und prägten viele Generationen evangelischer Christen in Herzkamp von Kindesbeinen an.

Nicht nur gehört das alt-ehrwürdige Gebäude zum Ortsbild und ist per se als historisches Zeugnis eines christlich geprägten Gemeinwesens zu würdigen. Auch seine Entstehung verdient besondere Aufmerksamkeit, denn bis 1949 war das Gebäude formaljuristisch Eigentum der in Wuppertal – also außerhalb der Kirchenprovinz – ansässigen Rheinischen Mission. Zu diesem Vorgang befindet sich im Archiv der Rheinischen Missionsgesellschaft in Wuppertal (Archiv- und Museumsstiftung der VEM, Signatur RMG 1.265) ein handgeschriebener Brief des Herzkamper Pfarrers Julius Böing an den Leiter der Rheinischen Mission in Barmen, in dem er diese rechtliche Konstruktion der Trägerschaft des Herzkamper Vereinshauses darlegte:

„Herzkamp, 1. März 1928.

Sehr verehrter Herr Bruder!  

Zu Ihrer Anfrage vom 25. Febr. teile ich Ihnen gern folgendesbetr. Vereinshaus Herzkamp mit: Das hiesige Vereinshaus ist 1889 durch private Opfer an Geld und durch persönliche Dienstleistungen seitens der Gemeindemitglieder erbaut worden. Da damals ein Teil der Kirchenvertreter dem Vereinswesen nicht wohlgesonnen war, wurde der Besitztitel auf den Namen der Rh. Missions-Gesellschaft übertragen, umso lieber von den Freunden evang. Jugendpflege, als Zöglinge des Missionshauses seit Jahrzehnten die hiesigenVereine und Sonntagsschulen bedienten und dadurch ein enges Band zwischen Mission und Gemeinde geschlossen war. Lt. Vereinshaus-Statuten vom Jahr 1890, § III, hat die Rh. Mission auf jedes Verfügungsrecht für alle Zeit verzichtet und überläßt dem Komitee die ganze Verwaltung.

Die Übertragung des Besitz-Titels auf einen anderen Eigentümer kann erfolgen, aber nur bei einstimmigem Beschluß des Komitees. Das Vereinshaus soll hauptsächlich kirchlich-gottesdienstlichen ‚Zwecken und der christlichen Vereinstätigkeit dienen.‘

Die Mission hat also nur den Namen hergegegeben, ohne damit eigentlich Rechte und Pflichten zu übernehmen. Nach den Statuten gehören zum Komitee der ‚Inspektor des Missionshauses und der Zögling, der den Jünglingsverein leitet, der Pastor der Gemeinde, 2 älteste Mitglieder aus demVerein und 6 seßhafte christliche Mitglieder aus der Gemeinde.‘

Nun werden Sie sich ein Bild von der eigentümlichen Rechtslage des hiesigen Vereinshauses machen können. Zu etwaigen weiteren Auskünfte(n) bin ich jederzeit bereit.

Mit herzlichem Gruß

Ihr Böing, Pfr.“

Wie können wir diese seltsame rechtliche Konstruktion des Vereinshauses einordnen?

Die 1880er Jahre waren – nicht nur in Herzkamp – eine Zeit rasanter Veränderungen. Die Hochindustrialisierung brachte eine wirtschaftliche und soziale Expansion nie gekannten Ausmaßes: Seit 1884 dampften Eisenbahnen durch die Gemeinde, brachten Menschen und Güter in rasendem Tempo hin und her; die Zechen gingen zum Tiefbau über, förderten neben Steinkohle auch Eisenstein; auch sie wie zuvor der Eisenbahnbau und die Steinbrüche zogen viele Fremde an, zumeist raubeinige junge Männer, die nach einem harten Arbeitstag nach Erholung und Ausgleich, natürlich auch nach Spaß und Zerstreuung verlangten. Manche brachten neue Ideen mit, manche auch ihre Familie, Frauen und Kinder, zumeist mit anderen Sitten und einer oft unverständlichen Mundart. Eine große Verunsicherung, Misstrauen und Abwehr riefen diese neuen Zustände und die „Neubürger“ wohl hervor, aber sicher auch Offenheit, Mitleid und Neugier.

Wie geht eine Kirchengemeinde mit diesen Herausforderungen, mit diesen Menschen um? Über die Reaktionen, Diskussionen und die Konflikte in der Gemeinde sind keine Quellen vorhanden. Der Bau des Vereinshauses als inoffizielle Initiative zur Realisierung von kirchlicher Vereinsarbeit lässt aber darauf schließen, dass in Herzkampeinige der alteingesessenen Gemeindemitglieder – wohl gegen die Mehrheit des Gemeindevorstandes – vor allem die jungen Männer, ob „alt-eingesessen oder zugezogen, im christlichen Sinne auffangen und integrieren wollten und dafür persönliche Opfer an Zeit und Geld in Kauf nahmen. Dass das Vereinshaus damit ursprünglich ein Beitrag zum sozialen Frieden war und nur mit einem Trick, einem „Umweg“ über die Rheinische Mission, realisiert werden konnte, ist bemerkenswert und macht das Haus auch zu einem Zeugnis der kommunalen Sozialgeschichte.

Nach dem Abriss der „Kinderlehre“ in Niedersprockhövel 1966 und des alten Martin-Luther-Hauses in Haßlinghausen vor wenigen Jahren ist das Herzkamper Vereinshaus das einzige Gemeindehaus aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg in Sprockhövel. Auch unter dem Gebäudebestand der Rheinischen Mission ist das Vereinshaus in Herzkamp ein Unikat.  

Karin Hockamp